Freitag, 9. Mai 2008

Kommune W

Ich möchte Ihnen heute, liebe Leser, die „Kommune W“ vorstellen, mit der ich auch persönlich schon viele Jahre befreundet bin. Es handelt sich nicht um den offiziellen Namen der Gemeinschaft, die in einer Kleinstadt im Nordwesten Baden – Württembergs angesiedelt ist.
Angesichts der Größe und auch der unterschiedlichen Alterstufen der Kommune gestaltete sich die Interviewerstellung etwas schwierig.
Ich reichte einen Fragenkatalog ein und ging zunächst davon aus, dass jede/r die Fragen für sich beantwortete. Dies erwies sich als unpraktikabel und wurde verworfen.
Die nun vorliegenden Antworten entstanden im Rahmen eines umfangreicheren Palavers am Frühstückstisch. C, ein Mitglied der Gemeinschaft, sammelte die Antworten auf einem Notizzettel. Ich habe die teilweise nur in Stichworten vorliegenden Antworten so ausformuliert, dass sie für Sie lesbar sind. Manche Antworten, die allesamt im Gruppengespräch entstanden, sind natürlich ironisch zu verstehen, bei einigen habe ich das auch explizit kenntlich gemacht.
Wer Kontakt mit der Gemeinschaft aufnehmen möchte, sende mir bitte eine entsprechende Mail, die ich dann weiterleiten werde.
---------------------------------------------

1.) Seit wann existiert eure Gemeinschaft?

23 Jahre von den frühesten Anfängen her. (*)

2.) Wie groß (zahlenmäßig) ist eure Gemeinschaft und wie setzt sie sich zusammen?

Wir sind derzeit 17 Menschen: 9 Frauen und 8 Männer aller Alterstufen. Das jüngste Mitglied ist 6 Jahre alt, das älteste 91 Jahre.
(**)

3.) Wie sieht die ökonomische Basis eure Gemeinschaft aus? Womit verdienen eure Mitglieder ihr Geld?

Wir leben über unsere Verhältnisse, aber unter unserem Niveau (*****). Wir arbeiten alle außerhalb und sind hauptsächlich Akademiker und Studenten.

4.) Habt ihr eigene Betriebe?

ja! (***)

5.) Hat sich die Existenz eurer Gemeinschaft durch gegenseitige Fürsorge und Hilfe schon positiv für einzelne Mitglieder eurer Gemeinschaft ausgewirkt?

Ja. In folgenden Bereichen: Lösung interner Konflikte; die Gemeinschaft wirkte auch beziehungsstabilisierend; Kinder- und Altenbetreuung; bei der persönlichen Weiterentwicklung.
Wobei stets gilt: Ratschläge sind auch Schläge. (*****)
Weiterhin beim Thema Geld (sich gegenseitig Geld leihen), Autos verleihen bzw gemeinsam nutzen, Ausheulen, Einkäufe organisieren, Kochen, Haushaltsführung.
Man findet Badepartner. Flirt- und Liebesschulung

6.) Welche Konfliktlösungsmethoden praktiziert ihr?

Sex.
Diskussion, bis der Gegner erschöpft aufgibt (*****).
Einspruch: wir haben keine Gegner, sondern „leider“ Partner.
Wir praktizieren wöchenliche Treffs zum Austausch der persönlichen Situation (Sprechhasen – Runde, wobei ein Stoffhase einen Sprechstab darstellt).
In diesem Zusammenhang haben wir auch schon einen eigenen Jargon der Kommunikation entwickelt.
So bedeutet bei uns „Zipfel“ eine ungare, noch nicht ausgefeilte Ahnung.
„Ignaz“ ist bei uns der personifizierte „Schweinehund“ und dient zum Benennen des Unbewussten.
In jedem Falle ist Konfliktbereitschaft und Wille zur Wahrheit wichtig.

7.) Habt ihr verschiedene Konfliktlösungs und Kommunikationsmethoden ausprobiert, und welche Erfahrungen habt ihr dabei gesammelt?

Körperliche Auseinandersetzungen bringen nichts (klar). Die Methode „Heißer Stuhl“(+) ist zu verletzend. Manchmal ist eine Art Theaterforum sehr hilfreich. Eine große Rolle spielen bei uns Küchengespräche und Einzelgespräche (Dialoge). Es gibt in unserem Haus eine funktionierende „Hauspost“: jeder erzählt jedem schnellstmöglich alles.
Eine bedeutende Rolle spielen auch gemeinsame Aktivitäten, z.B. Joggen.

8.) Jede Gemeinschaft lebt vom Konflikt, konkreter, von der gemeinsamen positiven Lösung von Konflikten. Es gibt typische Grundschauplätze von Konflikten in einer Cohousing – Gemeinschaft (Cohousing = Wohngemeinschaft). Nach eurer Beobachtung: was waren in eurer bisherigen Geschichte die häufigsten Konfliktfelder: Geld? Sex und Liebe? Sauberkeit und Ordnung? Kommunikation? Sympathie und Antipathie?

Wir beschäftigen uns lieber mit dem Konfliktfeld Initimität, statt mit dem schweren Konfliktfeld Geld. Und viel mit dem Thema Selbstwertgefühl.
Nötige Strukturveränderungen durch Wachstum der Gemeinschaft birgt auch Konfliktpotential. (****)
Das Thema Ordnung und Sauberkeit haben wir durch gemeinschaftliches Outsourcing gelöst.

9.) Seid ihr eine offene Gemeinschaft oder seid ihr für weitere Mitglieder offen?

Wir sind offen für weitere Mitglieder, aber nicht für alle, d.h. keine Schnuggis, keine faschistoiden Emanzen, keine Faschos, keine Ultra – Ökos, keine Hardcore – Spirituellen. Für Millionäre mit Charme, KFZ-Mechaniker und andere Handwerker sind wir offen.

10.) Was sind Kriterien für die Mitgliedschaft bei euch (sofern ihr welche habt)?

(Schon beantwortet.)

11.) Habt ihr Beziehungen zu anderen Gemeinschaften, und welcher Art sind diese?

Wir besuchen die schon, aber kein Schwein ruft uns an.
(*****)

12.) Habt ihr als Gemeinschaft ein kollektives Selbstverständnis im Sinne einer „intentionalen Gemeinschaft“, sei es weltanschaulicher, spiritueller, politischer, philosophischer natur?

Wir sind politisch sehr links, pflegen offene Beziehungen. Wir nennen uns manchmal die „Hexen von Weinheim“ (aber offiziell „glauben wir nicht dran“). (*****)
„Es gibt nichts Schlimmeres als Scharlatanerie“ (O-Ton A.)

13.) Wird dieses Selbstverständnis von allen Gemeinschaftsmitgliedern mitgetragen?

Mitgetragen: ja schon, eigentlich schon.

14.) Aus Vorgesprächen weiß ich, dass ihr Mehrfachbeziehungen praktiziert und auch bewusst kultiviert, was eine Besonderheit ist auch unter Gemeinschaften, die „freie Liebe“ propagieren. Wie hat sich diese kulturelle Eigenschaft eurer Gemeinschaft entwickelt?

Mit Ach und Krach. Aus der Erkenntnis, dass der Mensch nicht für „lebenslängliche“ Zwangsehe (Wilhelm Reich) geschaffen ist und die Lust nicht auf einzelne Menschen beschränkt ist. Und weil es Spaß macht, sich zu verlieben. Außerdem entwickelte sich diese kulturelle Eigenschaft unserer Gemeinschaft, weil wir uns der Doppelmoral des kapitalistischen Systems entgegen werfen.

15.) Mehrfachbeziehungen werden zwar unter der Bezeichnung „Polyamory“ von zahlreichen Gruppen unter den internationalen intentionalen Gemeinschaften propagiert, sie sind aber erfahrungsgemäß erst einmal schwer zu handhaben. Könnt ihr das bestätigen?

Ja, genauso wie Zweierbeziehungen.
„Nur gibt es weniger Tote, aber mehr Spaß“. (*****)

16.) Gibt es nach eurer Erfahrung Grundregeln, die es ermöglichen, dass Mehrfachbeziehungen stabil sind und sich – im Sinne von Charles Fourier – zu „Quellen hochherziger Freundschaften“ entwickeln?

Alles offen legen, Wahrheit auf den Tisch knallen. Konfliktbereitschaft.
„Die Lust ist heilig“.
(Jemand wirft ein: „Ich finde den Spruch komisch, da er ein Tabu beinhaltet. Ohne Tabu ja“)

Immer wieder alles hinterfragen und nach Lösungen suchen, die auf die Situation passen. Solidarität und Freundschaft.
In Krisensituationen kommen wir immer wieder zum Fazit: „Wir sind die Besten“. (*****)

17.) Wie ist das Verhältnis der Generationen untereinander in eurer Gemeinschaft?

Es existieren Beziehungen über alle Generationen hinweg.

18.) Habt ihr als Gemeinschaft Zukunftspläne, und wenn ja, welche?

Ein ganz ganz großes Haus, oder mehrere Häuser. Ausbreitung unseres Lebensmodells, am besten ein ganzer Ort (oder Stadt). Wir möchten gern andere infizieren mit unseren Ideen. Mehr internationale Kontakte.
(„Gilt nicht für mich“ warf jemand ein)
Weiterentwicklung der Ideen durch die jüngere Generation, da diese eine ganz andere Basis schon hat.



(Selbstgewähltes Portrait der Kommune W)

Anmerkungen

(*) Nach meiner Beobachtung ging die Bildung der Gemeinschaft von zwei miteinander verbundenen Paaren aus, A, K, C und R. Ich kenne A und K seit 26 Jahren (1982) und weiß, dass sie schon immer die Bildung einer Gemeinschaft zum Ziel hatten.

(**) Hinzu kommt ein Dunstkreis von Freunden und Interessenten, die sich gern der Gemeinschaft anschließen würden, was aber das derzeitige Wohnhaus nicht zulässt.

(***) Es handelt sich um mindestens eine IT – Firma in der Rechtsform einer GmbH, sowie andere Aktivitäten wie Hausaufgabenhilfe etc.

(****) Spielt darauf an, dass in dem bewohnten Haus der Wohnraum allmählich knapp wird.

(*****) Ironie

(+) Die Methode „Heißer Stuhl“, die in manchen „Psycho“ – Kreisen praktiziert wird, basiert darauf, dass sich eine Person auf einen Stuhl in die Mitte setzt und alle anderen offen über diese Person reden, als ob sie nicht da wäre. Die betroffene Person selbst muß schweigen.

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