Charles Fourier haderte mit der französischen Revolution, da die Masse des Volkes wenig durch sie gewonnen hatte. Seine Kritik an der französischen Revolution erfolgte allerdings nicht vom Standpunkt des "Ancien Regime" der Adligen und Pfaffen aus, sondern vom Standpunkt einer befreiten Menschheit.
Mit dem Gang der Revolution konnte er sich nicht befreunden.
Nach seiner Meinung hatte die Masse des Volks sehr wenig dadurch gewonnen, dahingegen hatte die Klasse, die er auf's Tiefste haßte. die handeltreibende Klasse, am meisten profitirt. Und daß die Schriftsteller und Verherrlicher der neuen Ordnung der Dinge das Lob des Handels in allen Tonarten priesen, die Handelsfreiheit als das Ei des Columbus rühmten, als die Einrichtung, aus welcher die allgemeine Wohlfahrt und das allgemeine Glück ersprießen werde, erbitterte ihn noch mehr. Auch war seine Abneigung gegen jede Gewaltthätigkeit, mochte sie von welcher Seite immer kommen, so ausgeprägt, daß er sich nie mit den Gewaltakten der Revolution, deren Nothwendigkeit er nicht einsehen konnte, zu befreunden vermochte, und namentlich haßte er die Jakobiner, als die Vertreter des Schreckensregiments und der Rousseau'schen Philosophie. Nichts konnte ihn später mehr in Aufregung und Zorn bringen, als wenn die Gegner ihm vorwarfen, daß seine sozialen Theorien nur auf dem von den Jakobinern eingeschlagenen Wege verwirklicht werden könnten; dann brach er heftig los. »Nein und tausendmal nein, meine Theorie hat nichts zu thun mit der jener Leute, noch mit ihren Umsturzprojekten.« Er hatte mit seinem kritischen Blick erkannt, daß in der Revolution trotz allem Heroismus und aller Aufopferung des Volkes, trotz einer idealen Verfassung, trotzdem Alles die Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit im Munde führte, die Ausbeutung, die Unterdrückung, die Demüthigung der Masse, Lug, Trug und Heuchelei nicht nur geblieben waren, sondern sich wo möglich noch gesteigert hatten. Er hatte gesehen, daß, während die Revolutionäre sich bemühten, mit größter Rücksichtslosigkeit Alles mit blutiger Gewalt niederzuschlagen, was ihren Begriffen von gesellschaftlichem Glück entgegenstand, das Kapital im schreiendsten Widerspruch mit den gepredigten Grundsätzen agirte. Er sah, wie der Güterschacher, der Lebensmittelwucher, die Lieferungsschwindeleien blühten und die neu emporgekommenen und plötzlich reich gewordenen Besitzer ihre Orgien feierten. Ihm war auch der Hunger und das Elend der Massen, ihre Begeisterung und ihre Opferwilligkeit bei der Verteidigung des Vaterlandes nicht entgangen, und alle diese Wahrnehmungen, verbunden mit denen, die er tagtäglich im kleineren Kreise um sich und im Geschäftsleben machte, waren es, die ihn auf den Gedanken brachten, daß die Gesellschaft unmöglich richtig organisirt sein könne, und es eine Ordnung der Dinge geben müsse, die alle diese Auswüchse und Uebel unmöglich mache. Ihm erschien es eine Ungeheuerlichkeit, daß die Revolutionäre und nach ihnen die Ordnungsmänner mit Menschenköpfen wie mit Kegelkugeln spielten; daß man in der gewaltsamen Vernichtung der Parteien das menschliche Glück zu begründen glauben könne. Er begriff nicht, daß alle diese Kämpfe nur stattfanden, weil man der wahren treibenden Kraft, jener geheimnißvollen unfaßbaren Macht, dem unpersönlichen Kapital, nicht auf die Spur kommen und seinen Einfluß nicht beseitigen konnte, noch viel weniger wollte, jenes Dinges, über dessen Definirung die bürgerlichen Ideologen sich bis heute die Köpfe zerbrachen, dessen Räthsel erst der moderne wissenschaftliche Sozialismus löste, der endlich auch diese moderne Sphinx in den Abgrund stürzen wird.
Bebel stellt fest, dass Fourier die französische Revolution nicht wirklich verstand, da er politische Kämpfe für willkürlich hielt.
Fourier, der von Natur für die politischen Kämpfe nicht inklinirte, der durch die vor seinen Augen sich abspielenden Ereignisse in dieser Abneigung noch bestärkt wurde, kam in Folge davon zu der vorgefaßten Meinung, daß die politische Verfassung der Gesellschaft überhaupt eine gleichgültige Sache sei, daß diese mit dem sozialen Zustand nichts zu schaffen habe, und daß es sich darum handele, den letzteren zu verbessern und die politischen Fragen ganz bei Seite zu lassen. Er verfiel also in den entgegengesetzten Fehler der bürgerlichen Ideologen. Diese glaubten durch die Beseitigung des Adels, der Priesterschaft und des Königthums, durch die Begründung der Republik, die Verkündigung der Menschenrechte, die Anstellung idealer Grundsätze Alles geleistet zu haben, was zu leisten möglich sei. Blieben dennoch die Zustände mangelhaft, so lag das nur an der Niederträchtigkeit der sogenannten Volksfeinde, der Aristokraten, der Pfaffen, der heimlichen Anhänger des Königthums, deren man trotz aller Gewaltmaßregeln nicht Herr werden konnte. Man mußte das Volk zur »Tugend« erziehen, zur Vaterlandsliebe, zur Opferwilligkeit, zur Arbeitsamkeit, zur Enthaltsamkeit. Wenn das geschah und Alle »tugendhaft« waren, so konnte der glückliche Zustand nicht fehlen. Die bürgerliche Welt ist am Ende des 19. Jahrhunderts den großen Begründern ihrer Herrlichkeit am Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht um Vieles in der Erkenntniß der gesellschaftlichen Entwicklungsgesetze voraus gekommen, sie dreht sich noch immer in demselben Ideengang und sie wird darin stecken bleiben. Darüber hinauszugehen wäre ihr Tod.
nemetico - 13. Jan, 20:55
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nemetico - 13. Jan, 17:57
François Marie Charles Fourier wurde den 7. Februar 1772 zu Besançon als Sohn eines wohlhabenden Großhändlers geboren. Der Vater genoß in seiner Heimath eines ziemlichen Ansehens, er wurde 1776 zum Handelsrichter gewählt. Charles (Karl) war das vierte Kind seiner Eltern, die drei älteren Geschwister waren Mädchen. Der Vater, der 1781 starb, hinterließ ein Vermögen von zweihunderttausend Livres, wovon laut Testament der Sohn zwei Fünftel, also 80.000 Livres, erbte.
Fourier verlor das väterliche Vermögen
Fourier liebte es nie, über seine persönlichen Verhältnisse zu sprechen; geschah es dennoch, so nur, um eine seiner Theorien in dieser oder jener Weise damit zu unterstützen. Seine Schüler und selbst seine intimsten Freunde erfuhren erst nach seinem Tode, daß er in der Belagerung von Lyon, 1793, durch die Konventstruppen das ziemlich beträchtliche väterliche Vermögen vollständig eingebüßt hatte.
Entbehrungsreiches Leben
Stoiker ohne Ziererei und Künstelei, sprach er nie von der ersten Ursache, die ihm ein Leben voll Entbehrungen und Einschränkungen auferlegte.
Gerechtigkeitssinn
Fourier zeigte von frühester Jugend einen entschiedenen Willen, eine unerschütterliche Rechtschaffenheit. Als einziger Sohn vom Vater für den Handel bestimmt, erzählt er selbst in einem seiner Werke, wie er frühzeitig gegen denselben eingenommen wurde. Da diese Stelle für den ganzen Mann charakteristisch ist, geben wir sie ihrem Hauptinhalt nach wieder. Er sagt: Man muß den Handel als ein grau gewordener Praktiker, der vom sechsten Jahre ab im kommerziellen Schafstall erzogen wurde, kennen. Er habe in diesem Alter den Unterschied zwischen dem Handel und der Wahrheit kennen gelernt. Im Katechismus und in der Schule habe man ihm gelehrt, nie zu lügen, dann führte man ihn in den Laden, um ihn frühzeitig in dem edlen Handwerk der Lüge oder der Kunst, wie man verkauft, zu üben. Betroffen über die Betrügereien und Schwindeleien, habe er Käufer, die betrogen werden sollten, bei Seite genommen und ihnen den Betrug entdeckt. Einer von diesen sei unanständig genug gewesen, ihn zu verrathen, was ihm eine Tracht Prügel einbrachte, und im Tone des Vorwurfs hätten seine Eltern erklärt: der Junge wird nie für den Handel taugen. In der That, er habe eine tiefe Abneigung gegen ihn empfunden, und, sieben Jahre alt, habe er einen Eid gegen den Handel geschworen, wie ihn ähnlich Hannibal, neun Jahre alt, gegen Rom schwur: »Ich schwöre ewigen Haß dem Handel.« Fourier's Haß gegen Ungerechtigkeit veranlaßte, daß er schon als Knabe sich stets der schwachen unter seinen Gespielen gegen die stärkeren annahm, und obgleich er mehr schwächlich als robust war, fürchteten ihn die stärkeren und älteren seiner Gespielen. Dabei war er ein harter Kopf, aber ein vortrefflicher Kamerad und voll Zuneigung. Auch lernte er mit außerordentlicher Leichtigkeit und gewann mehrfach die ersten Preise, namentlich in lateinischer Poesie. Aelter geworden, wollte er nach Paris, um dort namentlich Logik und Physik zu studiren, aber ein Freund der Mutter, der um Rath gefragt wurde, rieth ab, ihn den Gefahren der Großstadt auszusetzen, auch seien die erwähnten Wissenschaften einem Kaufmann nicht vonnöthen; er setzte allerdings hinzu, er glaube, daß ihr Sohn am Handel keinen Geschmack habe und rieth, ihn nicht wider seinen Willen zu zwingen. Das Letztere geschah aber dennoch. Fourier sollte zunächst nach Lyon zu einem Bankier kommen, aber an dessen Thüre desertirte er, erklärend, daß er niemals Kaufmann werden wolle. Darauf kam er nach Rouen, wo er ein zweites Mal auskniff. Schließlich beugte er sich unter das Joch und trat in Lyon in die Lehre, und so habe er, wie er selbst sagt, die schönsten Jahre seines Lebens in den Werkstätten der Lüge zugebracht, überall und stets die Wahrsagung hörend: »Ein rechtschaffener junger Mann, aber er taugt nicht für den Handel.«
Leidenschaften Fouriers
Besondere Neigung besaß Fourier für die Geographie, und so verwandte er sein Taschengeld hauptsächlich für die Anschaffung von Karten und Atlanten; nächstdem liebte er außerordentlich die Blumenzucht und kultivirte solche in vielen Arten und Abarten; ferner hatte er großen Hang zur Musik und lernte mehrere Instrumente, und zwar ohne Lehrer, spielen.
Parteinahme Fouriers für Schwache
Ein hübscher Zug ist aus seinen Schuljahren bekannt geworden. Obgleich er kein starker Esser war, nahm er täglich ein tüchtiges Stück Brot mit kaltem Fleisch belegt, zur Schule mit. Als er sich eines Tages auf einer kleinen Reise befand, stellt sich ein armer Knabe im Laden ein, und frug, ob der kleine Herr krank sei. Als man dies verneinte und ihm mittheilte, er sei verreist, brach der Kleine in Weinen aus. Nach der Ursache befragt, antwortete er: daß er nunmehr sein Frühstück verloren habe, das ihm der junge Herr täglich gebracht habe. Er wurde getröstet und wurde ihm für Ersatz gesorgt.
Zufälle des Lebens
Fourier machte, bevor er sich dem Wunsche seiner Mutter, Kaufmann zu werden, fügte, noch einen Versuch, in die Militair-Ingenieurschule zu Mézieres aufgenommen zu werden, aber wegen seiner bürgerlichen Abkunft wurde er zurückgewiesen, worüber er sich in späteren Jahren selbst beglückwünschte, weil er sonst von seinen Studien über den sozialen Mechanismus würde abgezogen worden sein. So entscheidet das spätere Schicksal der Menschen meist der Zufall, und da spricht man beständig von den persönlichen Verdiensten. Wie viel bedeutende Männer hatten, als sie eine gewünschte Laufbahn verfehlten, eine Ahnung, daß gerade in diesem _Verfehlen_ die erste Ursache zu ihrer künftigen Berühmtheit lag? –
Reisen
Nachdem Fourier seine Lehrzeit in Lyon absolvirt hatte, kam er, 1790 auf einer Reise nach Rouen begriffen, um dort eine Stellung als Reisender anzunehmen, ein Posten, der zu jener Zeit ein ganz besonderes Vertrauen voraussetzte, zum ersten Mal auf einige Zeit nach Paris, das ihm sehr gefiel. Mit Hülfe der Zuschüsse, die er aus seinem Vermögen besaß, besuchte er allmälig die meisten Städte Frankreichs, bereiste Deutschland, Holland und Belgien, überall sorgfältig beobachtend und studirend. Von den Deutschen empfing er eine sehr günstige Meinung, er nannte sie das unterrichtetste und vernünftigste Volk. Besonders imponirten ihm die vielen deutschen Städte, die Sitze von Kunstanstalten, Universitäten und höheren Bildungsanstalten waren -- die gute Seite und Wirkung der deutschen Kleinstaaterei. Er beklagte später tief, daß für Frankreich Alles in Paris konzentrirt wäre, und in Folge dessen alle übrigen Städte Frankreichs langweilige, monotone und versimpelte Orte seien, in denen jeder höhere geistige Flug fehle. Auf allen diesen Reisen studirte Fourier das Klima der verschiedenen Gegenden, ihre Bodenbeschaffenheit, die Gewerbe, die Bauart der Städte und Straßen und nicht zuletzt den Charakter der Bewohner. Es gab in keiner größeren Stadt, die er besucht hatte, ein hervorragendes Gebäude, dessen Architektur und Dimensionen er nicht genau kannte. Nur für die Sprachen hatte er wenig Sinn, daher auch sein Verlangen in seinem Hauptwerk, das schon im Titel seine Auffassung ausdrückt. »Theorie der universellen Einheit«, daß die Vielsprachigkeit eine der schlimmsten Fehler des Menschengeschlechts sei, und die Schaffung einer Weltsprache, wofür er die französische am geeignetsten hielt, eine der ersten Aufgaben einer neuen sozialen Ordnung der Dinge sein müsse. Den Deutschen machte er zum Vorwurf, daß sie mit Hartnäckigkeit an ihrer besonderen Schriftsprache festhielten, die doch andere germanische Völker, wie die Engländer und die Holländer, längst aufgegeben hätten. Bekanntlich ist heute, nach mehr als siebenzig Jahren, diese Frage in Deutschland noch kontrovers, wenn auch für wissenschaftliche Werke im Sinne Fourier's entschieden.--
Nachtarbeiter
Da Fourier durch sein Geschäft über Tag stets vollständig in Anspruch genommen war, benützte er, und namentlich dann, nachdem er sein Vermögen verloren und auf das Einkommen aus seiner kaufmännischen Stellung allein angewiesen war, die Nächte, um sich weiter zu bilden. Er befaßte sich hauptsächlich mit Anatomie, Physik, Chemie, Astronomie und Naturgeschichte. Sein Haß gegen den Handel steigerte sich mit den Jahren, je genauer er das Treiben in demselben kennen lernte, immer mehr und spornte ihn zu seinen sozialen Studien an. Namentlich machte es einen tiefen Eindruck auf ihn, als er 1799 in einer Stellung in Marseille seitens seines Chefs den Befehl erhielt, eine Schiffsladung Reis in's Meer zu versenken, damit die Waare im Preise steige.
nemetico - 13. Jan, 17:45
Charles Fouriers Zeit. Französische und deutsche Revolution. Bebel erklärt den Lesern seiner Fourier - Monographie die historischen Rahmenbedingungen, in denen Fourier lebte. Hervorhebungen von mir.
Vorrede.
Das achtzehnte Jahrhundert zählt in der Geschichte der Entwicklung der Menschheit zu jenen Perioden, auf denen der Blick des Kulturforschers und Fortschrittsfreundes mit besonderem Interesse ruht. Nach den religiösen, politischen und sozialen Kämpfen des Reformationszeitalters war, wie das stets nach großen Volks- und Massenbewegungen zu geschehen pflegt, eine Art Stillstand und Rückschlag für die Fortentwicklung eingetreten. Die durch die Reformationsbewegungen zur Geltung gekommenen Stände und Interessen suchten sich zu konsolidiren und die daraus hervorgehenden Reibungen führten wieder zu gewaltsamen Kämpfen und Erschütterungen von mehr oder weniger langer Dauer, die alle übrigen Interessen absorbirten, den materiellen wie den geistigen Fortschritt der Massen für lange Zeit hemmten.
Über die Bedeutung der Reformationsbewegung für Deutschland. Letztlich diente sie der Stärkung der Position der Landesfürsten.
In Deutschland hatte die Reformation dem Landesfürstenthum Oberwasser verschafft. Die Landesfürsten hatten die Reformation benutzt, um unter dem Deckmantel der Religion die eigene Hausmacht nach Möglichkeit zu stärken dadurch, daß sie den kleinen Adel sich unterthänig und von sich abhängig machten, die Macht der Geistlichkeit brachen, sich selbst die bischöfliche Gewalt beilegten, Kloster und Kirchengut konfiszirten und die gewonnene Macht benutzten, sich immer mehr von der Kaisergewalt zu emanzipiren, diese zum bloßen Schatten zu degradiren. Aus diesem Interessenkampf der Fürsten entstanden die sogenannten Religionskriege, der schmalkaldische und der dreißigjährige Krieg, die Deutschlands politische Ohnmacht und Zerrissenheit auf Jahrhunderte besiegelten, seine ökonomische Schwächung -- die schon durch die Umgestaltung der Weltmarktsbeziehungen in Folge der Entdeckung von Amerika und des Seewegs nach Ostindien veranlaßt war -- noch vergrößerten und allgemeine Armuth, schweren geistigen und geistlichen Druck über Länder und Völker verbreiteten.
In Frankreich rief die Reformation (als frühbürgerliche Bewegung) das absolute Königtum hervor.
In Frankreich erzeugte die Reformation die Kämpfe der Hugenotten, d.h. des hugenottisch gesinnten Bürgerthums und die des frondirenden Adels gegen das frühzeitig sich entwickelnde, alles zentralisirende absolute Königthum. Nach längeren Kämpfen siegte das letztere und fand in Ludwig XIV. seinen glänzendsten, aber auch seinen bedrückendsten und gewaltthätigsten Vertreter. Die inneren und äußeren Kämpfe Frankreichs im 16. und 17. Jahrhundert hemmten die freie Entwicklung des materiellen wie geistigen Fortschritts.
Bürgerthum und Adel gegenseitig feindlich, das Land nach außen, namentlich unter dem erwähnten Ludwig, von einem Krieg in den anderen gestürzt, war schließlich erschöpft und verarmt. Solche Zeitalter sind nicht geeignet, große Ideen zu gebären, für geistige Kämpfe die Bahn frei zu machen. Dagegen zeigte das achtzehnte Jahrhundert in Frankreich ein ganz anderes Bild. Frankreich bildete für dieses Zeitalter die Wiege des menschlichen Fortschritts auf allen Gebieten; hier entwickelte sich allmälig eine Fülle von geistigem Glanz und Leben, wie sie bis dahin kein Volk und kein Zeitalter in gleichem Maße erlebte. Die Menschen wuchsen sozusagen über sich selbst hinaus und setzten alle Geister und Herzen in der ganzen Kulturwelt in Bewegung. Frankreich mag viel gesündigt haben, die Dienste, die es während des achtzehnten Jahrhunderts der Menschheit leistete, werden ihm, so lange Menschen leben, unvergessen bleiben.
Der Zerfall der absoluten Monarchie in Frankreich und das Nahen der Revolution.
Die Fortschritte begannen unmittelbar nach dem Tode Ludwig's XIV., dessen Gewalt mit eisernem Drucke auf dem Lande gelastet, alle freie bürgerliche Regung erdrückt, alle freie geistige Bewegung erstickt hatte. Das Land stand nach seinem Tode am Rande des materiellen und geistigen Bankerotts. Allmälig erholte sich das Volk und arbeitete sich, wenigstens in den Städten, wo die feudale Macht des Adels und der Geistlichkeit am wenigsten sich fühlbar machen konnte, empor. Die Männer von Bildung und Geist, die nach der Entwicklung und Entfaltung der Kräfte des Landes strebten, eilten nach jenseits des Kanals, nach England, um dort, an den Quellen des öffentlichen Lebens, die Studien zu machen, zu denen ihnen im eigenen Lande die Gelegenheit und die Möglichkeit fehlte.
Zurückgekehrt nach der Heimath, begannen sie die Arbeit, die langsam aber sicher den stolzen Bau des absoluten Staats und der feudalen Gesellschaft untergrub und unterhöhlte, bis zu Ende des Jahrhunderts in einem Riesenzusammenbruch Beides, Staat und Gesellschaft, zusammenstürzten, und durch ihren Fall ganz Europa aus den Fugen trieben.
Schwächung der absoluten Monarchie
Das Königthum gerieth nach Ludwig XIV. in die Hände von Schwächlingen, die Geistlichkeit und der Adel waren verlottert und verweichlicht; eine Minorität unter den beiden Ständen war geneigt, angeekelt von dem Treiben der eigenen Klasse und den Zuständen um sich, neuen Ideen sich zugänglich zu erweisen und spielte mit dem Feuer, dessen Gefährlichkeit sie nicht kannte. So erklärt sich, daß die Männer der neuen Zeit mit ihren alles Alte angreifenden und erschütternden Ideen vielfach gerade dort einen bereiten Boden fanden, wo man ihn am wenigsten hätte erwarten sollen. Aber es hatte sich auch des Bürgerthums ein Drang nach Wissen und Bildung, nach politischen Rechten, ein Geist der Unzufriedenheit über das Bestehende bemächtigt, wodurch die Bewegung schließlich zum Alles niederreißenden Strom anschwoll.
Das französische Bürgertum
Das Bürgerthum, politisch so gut wie rechtlos und machtlos, die Vertretung seiner Magistrate in den alten ständischen Parlamenten mißachtet, mit Abgaben unangenehmster Art beschwert, durch Zunft-, Bann- und Höferechte in seiner materiellen Entwicklung behindert, von Adel und Geistlichkeit geringschätzig und verächtlich behandelt, aller persönlichen Rechte und der Garantien persönlicher Freiheit beraubt, sehend, wie die ungerecht vertheilten und gewaltsam beigetriebenen Steuern und Abgaben von einem in der Liederlichkeit verfaulenden Hof verschlemmt und verpraßt wurden, erfaßte mit Gier die neuen Ideen, welche die Rechtmäßigkeit der feudalen Vorrechte angriffen, die religiösen Vorurtheile, unter deren Druck es litt, in Zweifel zogen, die allgemeine Freiheit und Rechtsgleichheit lehrten. Der neue Staat und die neue Gesellschaft wurden in den verführerischsten Farben dargestellt, politische Macht, Reichthum, geistige Freiheit und Gleichheit Allen in Aussicht gestellt.
Nahen der Revolution
Wenn in einem Gesellschaftszustand die Dinge sich einmal so weit entwickelten, daß ein großer Theil der Betheiligten und Interessirten von Unzufriedenheit und Mißstimmung gegen das Bestehende und von Sehnsucht nach besseren Zuständen erfüllt ist, so wird der alte Zustand sich auf die Dauer nicht halten können, was immer für Mittel und Praktiken in Anwendung kommen, ihn zu erhalten und zu stützen. Mag die Sehnsucht der Masse nach Veränderung des Bestehenden, nach Umgestaltung ihrer Lage zunächst nur eine Sache des Gefühls sein, das aber in dem thatsächlichen Zustand der Verhältnisse seine Begründung und seine Berechtigung findet. Mag diese Masse sich über den Weg wie über die Mittel, durch die ihr geholfen werden könnte, noch so unklar sein, der Moment kommt, wo sie mit elementarer Macht, _instinktiv stets richtig_, nach dem bestimmten Ziele drängt und die bewußten und wissenden Geister zwingt, sich zu ihrem Organ, zu ihrem Mundstück und zu ihren Werkzeugen aufzuwerfen, um die Bewegung zum richtigen und nach Lage der Verhältnisse möglichen Ziele zu leiten. Die Führer sind unter solchen Umständen stets Werkzeuge, nicht Macher, und sie werden bei Seite geworfen, sobald sie sich zu Machern aufwerfen, die Bewegung für sich und nach eigenem Gutdünken, statt im Interesse der Betheiligten zu benutzen suchen. Die rasche Abwirthschaftung der Führer in akut gewordenen Volksbewegungen hat in diesem Geheimniß ihren Grund, sie wollen Allesmacher sein, wo sie nur Werkzeuge sein sollen und können. Da man sich hüben wie drüben dieses Verhältnisses selten bewußt ist, schreien die Einen über Verrath, die Andern über Undankbarkeit der Masse; das Erstere ist selten wahr, das Letztere zu behaupten stets eine Narrheit, ein Verlangen, das nur Diejenigen stellen können, die sich über die Natur ihrer Stellung nie klar waren, Schieber zu sein glaubten, wo sie nur Geschobene sein konnten.
Periode der Gärung
Jeder großen Umgestaltung in der Gesellschaft geht zunächst eine Periode der Gährung voraus, eine Periode, die, je nach dem Stande der allgemeinen Bildung und Kultur, nach dem Gewicht der betheiligten Klassen und nach der Kraft und der Macht der widerstrebenden Gewalten, bald längere, bald kürzere Zeit dauert, ehe die Bewegung zum offenen Ausbruch kommt und ihr Ziel in irgend einer Form, das wieder von dem mathematischen Kraftverhältniß der gegeneinander wirkenden Faktoren abhängt, erreicht. Geht eine Bewegung über ihr Ziel hinaus, d.h. erreicht sie mehr, als sie, in sich selbst zur Ruhe gekommen, im Interesse der nun in der Macht befindlichen Gewalten, die nunmehr den Schwerpunkt bilden, um den Alles gravitirt, erreichen _soll_ und, setzen wir hinzu, erreichen _darf_, so folgen die Rückschläge. Mit andern Worten, eine ihrem inneren Wesen nach selbst wieder auf Klassenherrschaft abzielende Bewegung darf nicht weiter gehen, als sie die Unterstützung der maßgebenden Interessirten findet.
Revolution und Reaktion.
Scheinbar ist bis jetzt jeder Revolution eine Reaktion gefolgt, in Wahrheit wurde die Bewegung stets auf ihren "natürlichen" Schwer-und Ruhepunkt zurückgeführt, weil sie darüber hinaus ging. Dieser Zustand ist aber stets, auch wenn er durch eine gegen die weiter vorwärts drängenden Elemente gerichtete gewaltsame Reaktion herbeigeführt wurde, dem Zustande, der _vor_ der Bewegung bestand, weit voraus. Man hört z.B. so häufig die Bemerkung machen, daß die bürgerliche Revolution der Jahre 1848 und 1849 in Deutschland an der Macht der Reaktion gescheitert sei. Das ist einfach nicht wahr.
Die Bewegung hat erreicht, was sie nach ihrem "wahren innern Gehalt" erreichen konnte. Revolution und Reaktion rangen so lange mit einander, bis sie auf dem Punkt ankamen, auf dem sie sich zu verständigen vermochten. Die Grenze war, wo die Lebensfähigkeit des Alten aufhörte und die Lebensmacht des Neuen begann. Von vornherein war ein großer Theil der anfangs revolutionären Kräfte, die das behäbige Bürgerthum umfaßten, entschlossen, über eine gewisse Grenze nicht hinaus zu gehen. An diesem Punkt angekommen, trennten sich diese Kräfte von den weiter drängenden Elementen. Dadurch verlor die Bewegung einen Theil ihrer Kraft, sie war ohnmächtig, weiter zu gehen. Und wie immer nach 1849 die Reaktion in
Deutschland hauste, das, was thatsächlich jetzt bestand, ging weit über das hinaus, was vor 1848 bestanden hatte. Die neuen Ideen hatten trotz alledem gesiegt und Alles, was seitdem in Deutschland geschah, ist nur durch diesen Sieg im »tollen Jahr« möglich geworden.
Rückschläge werden nun nothwendig in jeder Bewegung kommen, die selbst wieder auf Klassenherrschaft, wenn auch sich selbst unbewußt, hinausläuft. Ein solcher Rückschlag kann erst dann unterbleiben, wenn eine Bewegung siegt, die in ihrem Wesen und Prinzip die Aufhebung _aller_ Klassenherrschaft _bedingt_ und daher _alle_ Formen sozialer und politischer Herrschaft _aufheben muß_.
Bisherige Volksbewegungen waren Klassenbewegungen des Bürgertums, sagt Bebel.
Bisher waren alle Bewegungen, die ihr Ziel erreichten, Bewegungen der ersteren Art, und so begreift sich von vornherein, daß auch _die_ Bewegung, die gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Frankreich begann und im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts zur Entscheidung kam, diesem Schicksal aller bisherigen großen Volksbewegungen nicht entgehen konnte. Ihr Charakter als Klassenbewegung des Bürgerthums, ihr Ziel, die Herrschaft desselben zu begründen, zwang sie schließlich, sich gegen die revolutionäreren Elemente in ihrer eignen Mitte zu richten, und, da man innerhalb der Bewegungselemente und nachdem die Bewegung absolut gesiegt hatte, weder hüben noch drüben diesen inneren Widerspruch, in dem man sich zu einander befand, begriff, mußte man sich gegenseitig bis zur Vernichtung bekämpfen und im Blute ersticken. Die Interessen des Großbürgerthums mußten, weil sie die entscheidenden waren, die Oberhand behalten, aber aus Furcht vor neuen inneren Gegensätzen und Kämpfen warf sich dieses der Militärdiktatur des Konsulats und des Kaiserreichs in die Arme, um sich, d.h. _die neue Gesellschaft_, zur Ruhe und zum Genuß des Errungenen kommen zu lassen.
Der Kampf gegen das alte System richtete sich in Frankreich gegen alle bisherigen Grundlagen der alten Gesellschaft, gegen die Kirche, den Adel, die absolute Staatsgewalt, gegen die Besteuerungs-, die Eigenthumsformen, das Erziehungssystem, die sozialen Einrichtungen.
Nichts blieb im Laufe der Jahrzehnte, die dieser zunächst rein literarische Kampf währte, unangetastet. Die Angriffe wurden immer kühner. Ganz neue Staats- und Gesellschaftssysteme (Condorcet, Morelli, Mably, Rousseau) tauchten auf und erklärten dem Bestehenden den Krieg; ebenso wurden fast alle Zweige der
Naturwissenschaften und insbesondere auch die Philosophie in der radikalsten Weise behandelt. Die Verfolgungen, welche die Staatsgewalt und die Kirche gegen diese Feinde der alten Ordnung in Szene setzten, hatten so gut wie keine Wirkung, sie gossen nur Oel in's Feuer. Jahrelange Gefängnißstrafen, Verbannungen, Degradirungen, Ausweisungen gegen die Verfasser, Verbrennung ihrer Bücher und Schriften, Verbote gegen ihre Verbreitung, gesellschaftliche Aechtung der Autoren, Alles half nichts. Die Bewegung schwoll von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer mehr an, sie ergriff Alles, was Kenntnisse und Intelligenz besaß, sie erfaßte sogar die Frauen und wuchs so, daß die Gewaltmittel des Staates versiegten und dieser wie die Kirche von einer Position in die andere zurück gedrängt wurden. Im vorletzten Jahrzehnt vor der Revolution gab es in Frankreich keinen Schriftsteller von einiger Bedeutung, der nicht im Gefängniß gesessen oder Verbannung erlitten, oder dessen Werke nicht verboten oder öffentlicht verbrannt worden, oder der nicht in irgend sonst einer Weise verfolgt, drangsalirt und geschädigt worden war. Voltaire, Montesquieu, Rousseau, Beaumarchais, Diderot, d'Alembert, La Mettrie, La Harpe, Marmontel, Morellet, Buffon, Linguet und viele, viele Andere verfielen der Verfolgung. Wenn Holbach und Helvetius, Turgot, Quesnay, Necker, Condillac, Laylain, Cuvier, Lavoisiers, Bichot, Mirabeau der Aeltere solchen Verfolgungen entgingen, geschah es, daß sie, wie die beiden Erstgenannten, anonym schrieben, oder daß sie zu einer Zeit schrieben, wo das System, von der Nutzlosigkeit der Verfolgungen betroffen, ermüdet war, oder daß
sie wissenschaftliche Thematas behandelten, die dasselbe nicht direkt berührten. Und auch in letzterer Beziehung ging das Mißtrauen sehr weit; so mußte Buffon, als er 1751 seine Naturgeschichte veröffentlichte, der Pariser theologischen Fakultät ausdrücklich versprechen, daß Alles, was er in seinem Buche lehre, mit der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht in Widerspruch stehe.
Die Enzyklopädie der d'Alembert, Diderot und Genossen aber wurde mit der Motivirung verboten, »daß sie Grundsätze enthalte, welche darauf hinzielten, den Geist der Unabhängigkeit und Empörung zu wecken und unter dunkeln und zweideutigen Ausdrücken den Grund zum
Irrthum, zur Sittenverderbniß und zum Unglauben zu legen.« Doch alle diese Maßnahmen retteten das System nicht.
Die Bewegung hatte endlich ihren Höhepunkt erreicht, die
Gesellschaft wollte statt der Theorien Thaten sehen. Der Hof suchte durch halbe Konzessionen und kleinliche Maßregeln, die das Gegentheil erzeugten von dem, was sie bezweckten, dem Drängen nachzugeben. Der Sturm brach endlich los. Wir beschreiben nicht die französische Revolution, wir skizziren sie nur kurz, weil dies für unsern Zweck genügt.
Die französische Revolution.
Die Nationalversammlung, anfangs den Bestand des Königthums als selbstverständlich ansehend, wurde im Laufe der Ereignisse über sich selbst hinaus getrieben. War die Konstituante noch königlich, der Konvent wurde republikanisch. Die zunehmende Noth der Massen, Mangel an Lebensmitteln, Mangel an Arbeit, Wucher, Mißtrauen gegen Oben schürten den Brand. Die royalistischen und pfäffischen Intriguen im In- und Ausland, die Alles beunruhigten, weil sie alles Gewonnene in Frage zu stellen schienen, verstärkten die schon vorhandene heftige Aufregung. Der Fluchtversuch des Königs, seine ganze zweideutige Haltung steigerten das Mißtrauen und den Haß gegen ihn und die alten Stände. Der Zustand der Staatsmaschinerie, die durch die Ereignisse in Unordnung gebracht, durch die Aufhebung der alten drückenden Steuerlasten und Abgaben der Mittel zur Funktionirung beraubt war, zwang zur Ausgabe von Massen Papiergeld (Assignaten), die als Zahlungsanweisungen auf die konfiszirten Kirchengüter und später auch auf die konfiszirten Güter der emigrirten Adeligen ausgegeben wurden. Aber da in dem allgemeinen Tohuwabohu der Verkauf dieser Güter sehr langsam vor sich ging und die Staatsbedürfnisse in's Riesenmäßige stiegen, als das Land gezwungen wurde, nach dem Sturz des Königthums und der Enthauptung des Trägers der Krone, gegen das ganze zivilisirte monarchische Europa Krieg zu führen, fielen die Assignaten sehr bedeutend im Werth. Ende 1790 schon 1200 Millionen betragend, stiegen sie im Laufe der Jahre auf 8, dann auf 12, endlich auf 24 Milliarden. Ihre Vermehrung steigerte ihre Werthlosigkeit, die schließlich nur noch ein Hundertstel und weniger ihres Nennwerthes betrug, und dies erzeugte eine vollständige Revolution aller Preise. Zu den Kämpfen nach Außen kamen gewaltige Kämpfe im Innern.
Adel und Geistlichkeit intriguirten und konspirirten in
hunderterlei Formen, um wieder zur Herrschaft zu kommen. England, das unter dem Ministerium Pitt die inneren Kämpfe Frankreichs vortrefflich ausnutzte, um seine See- und Kolonialmacht auf Kosten Frankreichs zur allbeherrschenden zu machen, das jetzt Rache nahm
für die Hülfe, die Frankreich anderthalb Jahrzehnte zuvor der Unabhängigkeitsmachung der Vereinigten Staaten von England geliehen, dieses England sandte geheime Agenten über geheime Agenten, die mit Geld reichlich ausgestattet den inneren Kampf schüren mußten. Im Westen des Reiches erhob sich, ebenfalls von England unterstützt, die streng konservativ und kirchlich gebliebene Bevölkerung der Vendee und Bretagne, im Süden erhoben sich die theils royalistisch, theils girondistisch gesinnten Städte, vor allem Lyon, dessen Luxusindustrie unter all diesen Ereignissen außerordentlich litt. Im Konvent brach nach dem Sturz des Königthums der Kampf der verschiedenen bürgerlichen Parteien unter sich aus. Die kleinbürgerlichen Massen, hauptsächlich in den Klubs und speziell in dem Jakobinerklub organisirt, nahmen thatsächlich die Leitung der Ereignisse in die Hand und drängten den Konvent von Handlung zu Handlung. Vergebens suchten die Vertreter der eigentlichen Bourgeoisie, die Girondisten, zu widerstehen, sie unterlagen und endeten durch Ausstoßung oder auf dem Schaffot.
Die Schreckensherrschaft.
Die Schreckensherrschaft begann. Das in seinen tiefsten Tiefen aufgeregte Volk, im Inneren von den royalistischen Verschwörungen bedroht, an den Landesgrenzen die europäischen Heere erblickend, welche drohten als Hersteller des Alten das ganze Land zu überziehen, von Arbeits- und Verdienstlosigkeit heimgesucht, vom Hunger gepeinigt, rapide Entwerthung des Geldes, rapide Verteuerung der Lebensmittel sehend, ohne sich all dies genügend erklären zu können, gerieth in Raserei. Die Gewaltszenen häuften sich und das Blut der Feinde der Republik und Derer, die man als Feinde des Volks ansah, floß in Strömen. Um der zunehmenden Verzweiflung der Massen zu steuern, war der Konvent gezwungen, das sog. Maximum einzuführen, d.h. den Preis festzustellen, zu dem die nothwendigsten Lebensmittel abgegeben werden mußten; und als 1794 abermals eine Hungersnoth drohte, weil die Verkäufer der Lebensmittel allerorts mit ihren Waaren zurückhielten, mußte er sogar die Rationirung des Brotes für die pariser Bevölkerung einführen. Aber da alle diese Maßregeln den ersehnten Zustand nicht herbeiführen wollten, Arbeitslosigkeit, Wucher, Geldentwerthung, Beunruhigung fortdauerten, die schönste Verfassung, welche die Welt gesehen, mit all ihren Freiheiten und Rechten, weder die Freiheit, noch die Gleichheit, noch die Brüderlichkeit begründete, der ganze Zustand immer wirrer aber auch unfaßbarer wurde und Keiner die Lösung des Räthsels fand, _was war natürlicher, als daß man die Personen verantwortlich_ machte "für die Dinge, deren Natur man nicht begreifen konnte"!
Eine Partei klagte die andere an, suchte sie als die Ursache des allgemeinen Unglücks zu vernichten. Die Royalisten waren in Schaaren geopfert, proskribirt, eingekerkert, flüchtig, die Girondisten waren vernichtet. Jetzt traf die Reihe die Dantonisten, ihnen folgten die Hebertisten, schließlich kamen die, welche alle Andern geopfert, die Terroristen, die Robespierrianer selbst an die
Reihe. Diese »Tugendhaften« hatten die Republik und das allgemeine Wohl nicht retten können; die ihnen jetzt in der Herrschaft folgten, die Männer der richtigen Mitte, des ehemaligen Sumpfes im Konvent, die Schlauberger, die es mit allen Parteien gehalten, um es mit keiner zu verderben, die keine Ideale und keine Leidenschaften besaßen, retteten auch weder die Republik, noch begründeten sie das allgemeine Wohl. An Beiden lag ihnen herzlich wenig, aber sie thaten etwas Besseres, sie retteten sich und das Wohl ihrer Klasse, und dies war schließlich das »allgemeine Wohl«.
Das Kapital als Sieger der französischen Revolution.
In allen Kämpfen und Wirrnissen der Revolution, als die Leidenschaften den höchsten Grad erreichten, andererseits die Begeisterung erglühte, die glänzendsten Gedanken, die bis dahin nur menschliche Hirne erfassen konnten, in Worte und Thaten sich umsetzten, gab es ein geheimnißvolles Etwas, das wie der Geist über den Wassern schwebte, mit dämonischer Kaltblütigkeit in alle Pläne und Projekte eingriff, sie förderte oder zerstörte, wie es seinem Interesse entsprach, dabei Allen sichtbar und doch unfaßbar war, diese Macht war -- _das Kapital_. Das Kapital hatte unter all den Ruinen und Zerstörungen, welche die Revolution geschaffen, allein die Beute eingeheimst und schließlich den Sieg davon getragen. Das
Kapital hatte aus allen inneren und äußeren Verlegenheiten des Königthums und der Republik den alleinigen Nutzen gezogen; es hatte die Güterkonfiskationen, die Assignatenwirthschaft, das Maximum, die Rationirungen, die Feldzüge mit ihren Waffen-, Bekleidungs- und Lebensmittellieferungen, die Waareneinfuhrsperre gegen England, kurz alle und jede Maßregel, welche die Konstituante, dann der Konvent, dann der Wohlfahrtsausschuß, jetzt das Direktorium im
Interesse des Landes vollzogen, in seinem Nutzen auszubeuten und auszuschlachten gewußt. Mitten unter den Blutszenen der Revolution saß es bei der Ernte und berechnete kaltblütig die Profite, die ihm diese oder jene Maßregel der Gewalthaber abwerfen werde. Ueberall seine Agenten habend, in den Klubs, im Konvent, im Wohlfahrts- und im Sicherheitsausschuß, unter den Konventsdelegationen in den Provinzen, in der Leitung und Verwaltung der Armeen, in den Zivilverwaltungen der eroberten Staaten, Städte und Provinzen, machte es ungeheuere Gewinne. Es feierte Orgien wie nie zuvor und
kaum je nachher. Die großen Vermögen wuchsen wie Pilze aus dem Boden, der Spekulations- und der Handelsgeist griff immer weiter um sich und beherrschte das ganze öffentliche und private Leben, alle Beziehungen der Menschen. Die Lehren eines Adam Smith fanden ganz
spontan, aus der Natur der Dinge heraus, ihre Anerkennung und ihre Verwirklichung, und es kamen die Lobredner der neuen Ordnung, wie sie immer sich finden, sobald eine neue Macht im Besitz der Gewalt
und dadurch im Recht ist, und streuten den Weihrauch und priesen die neue Welt als die beste aller Welten.
Und da man während der Revolution, wie es die »tugendhaften« Lehren eines Rousseau vorschrieben, äußerlich sehr einfach, sehr sparsam und sehr »tugendhaft« gelebt hatte, so brach jetzt die lange
künstlich zurückgehaltene Genußsucht mit aller Gewalt hervor und überschritt alle Schranken. Man praßte und schwelgte und fröhnte exzentrisch der Liebe, wie es das »ancien regime« unter Ludwig XV, dem Vielgeliebten, und der Hof von Versailles kaum toller getrieben hatten. Die Masse aber war wieder in's alte Joch gespannt, ihre Söhne schlugen mit Begeisterung in aller Herren Länder die Schlachten und der freie Bauer und Bürger des beginnenden 19. Jahrhunderts sorgten neben der Blut- für die Geldsteuer, welche die neue bürgerlich-zäsarische Herrlichkeit unter dem »glorreichen« Szepter Napoleon's I. ihnen auferlegte.
* * * * *
So weit Bebel zu den Rahmenbedingungen, in denen Charles Fourier lebte.
Unsere Vorrede ist etwas lang geworden, aber sie war nicht überflüssig zum Verständniß der Aussprüche und Theorien des Mannes, dessen Leben und Lehren diese Abhandlung gewidmet ist. Das Streben und der Ideengang eines Menschen von Bedeutung wird ja nur dann verständlich, wenn man die Zeitverhältnisse kennt, unter denen er geboren, und die auf seine Entwicklung, also auch auf seinen Ideengang eingewirkt haben. Wie weit ein Mensch auch über seine Zeit hinaus denken mag, loszulösen von ihr vermag er sich nicht, er wird von ihr beeinflußt und beherrscht, und so werden seine weitgehendsten Gedanken stets den Stempel des Zeitalters tragen, in dem er lebte und wirkte. Das ist schon oft gesagt worden, es kann aber nicht oft genug wiederholt werden, weil jeden Tag noch in der Beurtheilung des Wirkens von Persönlichkeiten gegen diese Auffassung gesündigt wird.
nemetico - 13. Jan, 15:43