Etienne Cabet
Étienne Cabet (* 1. Januar 1788 in Dijon, Frankreich; † 8. November 1856 in St. Louis, USA) war ein französischer Publizist, Politiker und Revolutionär. In der Gemeinschafts- und Abeiterbewegung des 19. Jahrhunderts war Etienne Cabet, der einen christlichen Sozialismus vertrat, eine international bekannte Legende.
Wir wollen ihn vor der Vergessenheit bewahren.
Enttäuscht von dem autoritären Verhalten und der sozialen Kälte des Bürgerkönigs Louis Phillippe wurde Cabet zum Sozialisten. Er geißelte in seinen Schriften die Zustände in Frankreich und förderte die Bildungsarbeit unter Arbeitern. Er veröffentliche die oppositionelle Zeitung Le Populaire, die große Verbreitung fand, aber 1834 verboten wurde. Er wird wegen Majestätsbeleidung angeklagt und geht nach seiner Verurteilung für fünf Jahre ins Exil nach London. Dort gelangt er in Verbindung zum Philantropen Robert Owen, dessen Ideen in ihm die Plan reifen lassen, sozialistische Strukturen in Frankreich zu realisieren. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich arbeitete er journalistisch und politisch für soziale Erneuerung.
In seinem unter einem Pseudonym veröffentlichten Roman Die Reise nach Ikarien (Original: Voyage en Icarie) entwarf er die Idee eines utopistischen Gemeinwesens, das dank moderner Industrie ein hohes Einkommen erzielt, in dem aber die Produktionsmitteln der Allgemeinheit gehören. Mit der Gründung von Arbeiterbildungsvereinen versucht er, diesem Ziel näher zu kommen. Aufgrund seines aufbrausenden Temperaments und seines Geltungsbedürfnisses isolierte sich Cabet aber zunehmend. Er unterstützt die Revolution 1848, kann sich aber mit seinen sozialen Ideen, auch unter den Arbeitern, nicht durchsetzen. Er ruft zur Auswanderung in die USA auf und gründet 1848 mit Kolonisten in Nauvoo am Mississippi sein Ikarien. Auch hier gerät er zunehmend in Konflikte mit den Kolonisten....
(entnommen der Online – Enzyklopädie Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Cabet)
Cabet hatte mit seinem vom achtzehnten Jahrhundert geprägten Denken ein von ihm selbst für vollkommen gehaltenes System geschaffen, das sich den Menschen dadurch empfehlen wollte, daß es versprach, sie glücklich zu machen. In seinem berühmten utopischen Roman „Reise nach Ikarien“ gab es einen Präsidenten und ein parlamentarisches System, das Elemente des französischen Revolutionskonvents und der amerikanischen Verfassung vereinte.
Das war für seine Zeit ein überaus kühner und fortschrittlicher Gedanke.
280 Ikarier kamenin der neuen Welt an, unter ihnen Cabet persönlich. Sie kauften den Mormonen die Siedlung Nauvoo ab. Sobald er aber erst einmal in einem regelrechten Gemeinwesen (in Nauvoo / USA, wo heute noch eine Gedenkstätte für ihn existiert) festen Fuß gefaßt hatte, entwickelte er sich zum Diktator.
Er scheint wenig von der geistigen Überlegenheit eines Robert Owen oder eines Noyes besessen zu haben.
Er galt als der bürgerlichste aller kommunistischen Führer.
Er hatte keine wahre Vorstellung von den Möglichkeiten der Landwirtschaft oder der Industrie und führte das Gemeinwesen nach den kleinlichen Maßstäben französischer Haushaltsführung, untersagte den Mitgliedern Tabak und Whisky, mischte sich in ihre privaten Angelegenheiten und untergrub die Stimmung, indem er die Mitglieder ermutigte, einander auszuspionieren. Schließlich wurde er so sehr zum Tyrannen, daß Bewohner seiner Kolonie vor seinem Fenster die »Marseillaise« sangen und ihm in offener Versammlung trotzten: »Sind wir fast fünftausend Kilometer gereist, um unfrei zu sein?«
1856 überstimmte und vertrieb ihn eine Mehrheit, und unmittelbar darauf starb der alte Mann in St. Louis.
Ein trauriges Ende für diesen großen Schriftsteller.
Das Unternehmen hielt sich in seinen Ausläufern bis 1895 und gehörte in den USA zu den langlebigsten seiner Art. Heute sind Spuren seines Lebenswerks im Icarian Living History Museum / Nauvoo, Illinois zu besichtigen.
Warum erinnern wir in dieser Ausgabe an Etienne Cabet?
Weil die Tragik seines Lebens gut zu den anderen Themen dieser Ausgabe paßt. (Anmerkung der NHZ: es ging um Alternativen zur nötigungsorientierten Kommunikation).
Im 19. Jahrhundert gab es geradezu ein Aufblühen teils religiös, teil politisch inspirierter Gemeinschaftsprojekte. Allein der US – Staat Pennsylvania beherbergte hunderte solcher Kolonien. Die meisten dieser Kolonien scheiterten, und das, obwohl schon Friedrich Engels auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das vorbildliche Sozialwesen dieser Gemeinschaften hinwies. Sehr oft zerfielen diese Gemeinschaften an „inneren Zwistigkeiten“. Viele ihrer Gründer galten als herrisch, autoritär, eigensinnig etc. Oder man könnte sagen: große und hochfliegende Visionen scheiterten am Allzumenschlichen.
Für die Propagandisten des Neoliberalismus und der Ellbogengesellschaft sicherlich ein trefflicher Anlaß, von der Unmöglichkeit kommunitärer Gesellschaften zu sprechen, weil „die Menschen nicht dafür geschaffen sind“.
Das ist natürlich Unsinn.
Die Menschen lebten jahrhunderttausendelang in Stammesgemeinschaften, ehe sie – aus historischer Notwendigkeit und zur Verbesserung ihrer materiellen Lebenssituation - so etwas wie Staaten und die daraus hervorgehenden Zwangs- und Gewaltstrukturen entwickelten.
Friedrich Engels schrieb in „Geschichte der Familie, des Privateigentums und des Staates“ in einer Gegenüberstellung von Autoritäten in der Stammesgesellschaft und in der Zivilisation:
„Der lumpigste Polizeidiener des zivilisierten Staats hat mehr "Autorität" als alle Organe der Gentilgesellschaft (=Stammesgesellschaft) zusammengenommen; aber der mächtigste Fürst und der größte Staatsmann oder Feldherr der Zivilisation kann den geringsten Gentilvorsteher(=anerkannte Führungspersönlichkeiten, denen vertraut wird) beneiden um die unerzwungne und unbestrittene Achtung, die ihm gezollt wird“
Um die unerzwungene und unbestrittene Achtung eben geht es, um die kollektive Entwicklung von integrativen und kooperativen Fähigkeiten.
Gemeinschaften der Zukunft, das wissen wir frühestens seit Fourier, müssen auf Freiwilligkeit basieren. Natürlich waren Etienne Cabet, Robert Owen, ja auch Friedrich Engels Kinder ihrer Zeit und geprägt von der harschen Kommunikationskultur ihres Zeitalters. Und diese Kommunikationskultur war eben geprägt von den Zwangsstrukturen ihrer Gesellschaft: patriarchale Familie, militärische Arbeitsorganisation und so weiter.
Auch heute, im 21. Jahrhundert, sind wir Menschen in unseren Kommunikationsmustern zutiefst geprägt von den zerbröselnden Zwangsstrukturen der niedergehenden spätkapitalistischen Kultur.
Gewiß ist es ein großer Unterschied, ob Menschen mit Waffengewalt zur Arbeit oder zum Wohlverhalten gezwungen werden, oder ob sie sich „nur“ mit nötigungsorientierter Kommunikation gegenseitig traktieren. Und doch ist die Überwindung nötigungsorientierter Kommunikation auch heute noch die große Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe. Etienne Cabet war ebenso wie Charles Fourier und all die anderen seiner Zeit visionär weit voraus, erweisen wir ihm die Ehre, aus seinem Scheitern als praktischem Gemeinschaftsführer im heute zu lernen, wie wichtig es ist, auf Freiwilligkeit, gegenseitiger Achtung und Integration basierende komplexe Gemeinschaften zu begründen.
Die Zukunft der Welt gehört der Gemeinschaft, habt also Vertrauen.
Étienne Cabet
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von Konrad Argast
aus der Nemetischen Heimatzeitung Printausgabe Nr 11, Mai 2006
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Ehre dem Andenken Etienne Cabets
Wir wollen ihn vor der Vergessenheit bewahren.
Enttäuscht von dem autoritären Verhalten und der sozialen Kälte des Bürgerkönigs Louis Phillippe wurde Cabet zum Sozialisten. Er geißelte in seinen Schriften die Zustände in Frankreich und förderte die Bildungsarbeit unter Arbeitern. Er veröffentliche die oppositionelle Zeitung Le Populaire, die große Verbreitung fand, aber 1834 verboten wurde. Er wird wegen Majestätsbeleidung angeklagt und geht nach seiner Verurteilung für fünf Jahre ins Exil nach London. Dort gelangt er in Verbindung zum Philantropen Robert Owen, dessen Ideen in ihm die Plan reifen lassen, sozialistische Strukturen in Frankreich zu realisieren. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich arbeitete er journalistisch und politisch für soziale Erneuerung.
In seinem unter einem Pseudonym veröffentlichten Roman Die Reise nach Ikarien (Original: Voyage en Icarie) entwarf er die Idee eines utopistischen Gemeinwesens, das dank moderner Industrie ein hohes Einkommen erzielt, in dem aber die Produktionsmitteln der Allgemeinheit gehören. Mit der Gründung von Arbeiterbildungsvereinen versucht er, diesem Ziel näher zu kommen. Aufgrund seines aufbrausenden Temperaments und seines Geltungsbedürfnisses isolierte sich Cabet aber zunehmend. Er unterstützt die Revolution 1848, kann sich aber mit seinen sozialen Ideen, auch unter den Arbeitern, nicht durchsetzen. Er ruft zur Auswanderung in die USA auf und gründet 1848 mit Kolonisten in Nauvoo am Mississippi sein Ikarien. Auch hier gerät er zunehmend in Konflikte mit den Kolonisten....
(entnommen der Online – Enzyklopädie Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Cabet)
Cabet hatte mit seinem vom achtzehnten Jahrhundert geprägten Denken ein von ihm selbst für vollkommen gehaltenes System geschaffen, das sich den Menschen dadurch empfehlen wollte, daß es versprach, sie glücklich zu machen. In seinem berühmten utopischen Roman „Reise nach Ikarien“ gab es einen Präsidenten und ein parlamentarisches System, das Elemente des französischen Revolutionskonvents und der amerikanischen Verfassung vereinte.
Das war für seine Zeit ein überaus kühner und fortschrittlicher Gedanke.
280 Ikarier kamenin der neuen Welt an, unter ihnen Cabet persönlich. Sie kauften den Mormonen die Siedlung Nauvoo ab. Sobald er aber erst einmal in einem regelrechten Gemeinwesen (in Nauvoo / USA, wo heute noch eine Gedenkstätte für ihn existiert) festen Fuß gefaßt hatte, entwickelte er sich zum Diktator.
Er scheint wenig von der geistigen Überlegenheit eines Robert Owen oder eines Noyes besessen zu haben.
Er galt als der bürgerlichste aller kommunistischen Führer.
Er hatte keine wahre Vorstellung von den Möglichkeiten der Landwirtschaft oder der Industrie und führte das Gemeinwesen nach den kleinlichen Maßstäben französischer Haushaltsführung, untersagte den Mitgliedern Tabak und Whisky, mischte sich in ihre privaten Angelegenheiten und untergrub die Stimmung, indem er die Mitglieder ermutigte, einander auszuspionieren. Schließlich wurde er so sehr zum Tyrannen, daß Bewohner seiner Kolonie vor seinem Fenster die »Marseillaise« sangen und ihm in offener Versammlung trotzten: »Sind wir fast fünftausend Kilometer gereist, um unfrei zu sein?«
1856 überstimmte und vertrieb ihn eine Mehrheit, und unmittelbar darauf starb der alte Mann in St. Louis.
Ein trauriges Ende für diesen großen Schriftsteller.
Das Unternehmen hielt sich in seinen Ausläufern bis 1895 und gehörte in den USA zu den langlebigsten seiner Art. Heute sind Spuren seines Lebenswerks im Icarian Living History Museum / Nauvoo, Illinois zu besichtigen.
Warum erinnern wir in dieser Ausgabe an Etienne Cabet?
Weil die Tragik seines Lebens gut zu den anderen Themen dieser Ausgabe paßt. (Anmerkung der NHZ: es ging um Alternativen zur nötigungsorientierten Kommunikation).
Im 19. Jahrhundert gab es geradezu ein Aufblühen teils religiös, teil politisch inspirierter Gemeinschaftsprojekte. Allein der US – Staat Pennsylvania beherbergte hunderte solcher Kolonien. Die meisten dieser Kolonien scheiterten, und das, obwohl schon Friedrich Engels auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das vorbildliche Sozialwesen dieser Gemeinschaften hinwies. Sehr oft zerfielen diese Gemeinschaften an „inneren Zwistigkeiten“. Viele ihrer Gründer galten als herrisch, autoritär, eigensinnig etc. Oder man könnte sagen: große und hochfliegende Visionen scheiterten am Allzumenschlichen.
Für die Propagandisten des Neoliberalismus und der Ellbogengesellschaft sicherlich ein trefflicher Anlaß, von der Unmöglichkeit kommunitärer Gesellschaften zu sprechen, weil „die Menschen nicht dafür geschaffen sind“.
Das ist natürlich Unsinn.
Die Menschen lebten jahrhunderttausendelang in Stammesgemeinschaften, ehe sie – aus historischer Notwendigkeit und zur Verbesserung ihrer materiellen Lebenssituation - so etwas wie Staaten und die daraus hervorgehenden Zwangs- und Gewaltstrukturen entwickelten.
Friedrich Engels schrieb in „Geschichte der Familie, des Privateigentums und des Staates“ in einer Gegenüberstellung von Autoritäten in der Stammesgesellschaft und in der Zivilisation:
„Der lumpigste Polizeidiener des zivilisierten Staats hat mehr "Autorität" als alle Organe der Gentilgesellschaft (=Stammesgesellschaft) zusammengenommen; aber der mächtigste Fürst und der größte Staatsmann oder Feldherr der Zivilisation kann den geringsten Gentilvorsteher(=anerkannte Führungspersönlichkeiten, denen vertraut wird) beneiden um die unerzwungne und unbestrittene Achtung, die ihm gezollt wird“
Um die unerzwungene und unbestrittene Achtung eben geht es, um die kollektive Entwicklung von integrativen und kooperativen Fähigkeiten.
Gemeinschaften der Zukunft, das wissen wir frühestens seit Fourier, müssen auf Freiwilligkeit basieren. Natürlich waren Etienne Cabet, Robert Owen, ja auch Friedrich Engels Kinder ihrer Zeit und geprägt von der harschen Kommunikationskultur ihres Zeitalters. Und diese Kommunikationskultur war eben geprägt von den Zwangsstrukturen ihrer Gesellschaft: patriarchale Familie, militärische Arbeitsorganisation und so weiter.
Auch heute, im 21. Jahrhundert, sind wir Menschen in unseren Kommunikationsmustern zutiefst geprägt von den zerbröselnden Zwangsstrukturen der niedergehenden spätkapitalistischen Kultur.
Gewiß ist es ein großer Unterschied, ob Menschen mit Waffengewalt zur Arbeit oder zum Wohlverhalten gezwungen werden, oder ob sie sich „nur“ mit nötigungsorientierter Kommunikation gegenseitig traktieren. Und doch ist die Überwindung nötigungsorientierter Kommunikation auch heute noch die große Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe. Etienne Cabet war ebenso wie Charles Fourier und all die anderen seiner Zeit visionär weit voraus, erweisen wir ihm die Ehre, aus seinem Scheitern als praktischem Gemeinschaftsführer im heute zu lernen, wie wichtig es ist, auf Freiwilligkeit, gegenseitiger Achtung und Integration basierende komplexe Gemeinschaften zu begründen.
Die Zukunft der Welt gehört der Gemeinschaft, habt also Vertrauen.
Étienne Cabet
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von Konrad Argast
aus der Nemetischen Heimatzeitung Printausgabe Nr 11, Mai 2006
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Ehre dem Andenken Etienne Cabets
nemetico - 10. Feb, 17:53
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