Freitag, 15. Februar 2008

Freie Liebe?

Im Gemeinschaftsumfeld taucht immer wieder der Begriff „Freie Liebe“ auf, insbesondere wenn es sich um den Einflussbereich des ZEGG handelt.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff?
Nun, platt gesagt, das was sich die jeweiligen Menschen darunter vorstellen. Und das kann sehr sehr unterschiedlich sein, sogar gegensätzlich.

Was ist also unter freier Liebe zu verstehen?

Tatsächlich scheint es keinen Begriff zu geben, der von unbedarften Menschen auf der einen Seite und böswilligen Verleumdern auf der anderen Seite nicht so schon so grob falsch interpretiert wurde.

Tatsächlich konnte ich persönlich die Erfahrung schon machen, dass Menschen aus der Peripherie des ZEGG (also Besucher, keine Bewohner) diesen Begriff als eine Art „Pflicht zu Offenheit“ verstanden. Vereinzelt gab es auch besonders „freie“ Männer, die das Argument „freie Liebe“ als eine Art „Verführungsinstrument“ verwendeten, das ganze eventuell noch mit einer Prise nötigungsorientierter Kommunikation wie „Ooch, bist du prüde“.
Solcherlei Dinge sind natürlich ein gefundenes Fressen für Berufsneurotiker, „Publizisten“ und „Sektenforschern“, die Gemeinschaftsansätzen unterstellen, als „Sekten“ ihre Mitglieder zu „möglichst viel Sex“ zu animieren oder gar Promiskuität zur „Pflicht“ zu erklären.
Sehr häufig lassen solche Anwürfe tiefer in die Psyche der Verleumder und ihrer verdrängten Bewusstseineinhalte blicken als in das reale Leben eines Gemeinschaftsansatzes (ich denke hier an die Boulevardpresse – Kampagnen gegen das ZEGG oder den Stamm der Likatier in den letzten 20 Jahren.. )

Das ZEGG jedenfalls hat zu solchen Projektionen von Freunden und Feinden unmissverständlich Stellung genommen:

Im ZEGG gibt es keine Pflicht zu »möglichst viel Sex« oder eine »Pflicht zur Sexualität mit mehreren Personen«. Unsere Utopie von »freier Liebe« ist weder durch die Art der Sexualität noch durch die Zahl der PartnerInnen definiert.

http://www.zegg.de/index.php?kontrovers_kurz

„Freie Liebe“ ist eine Folge von Vertrauen unter Menschen. Dass auf dem Weg dahin auch verstopfte Kanäle aufbrechen und Ungelebtes nachgeholt werden will, gehört vielleicht zum Heilungsprozess dazu, darf aber nicht mit „freier Liebe“ verwechselt werden.

Und

Freie Liebe bedeutet, dass ich mehr als einen Menschen lieben darf und dass ich eine Form finde, wo ich diese Wahrheit so leben kann, dass es für alle Beteiligten Glück erzeugt und nicht Angst, Verletzung und Streit.

Und

Die Menschen im ZEGG leben Beziehungsformen, die so vielfältig sind wie die Menschen, die sie leben.

http://www.zegg.de/ZeggInBildern/Liebe/index.htm

Das ist wohl an Klarheit nicht zu überbieten.

Auch das Projekt Nemetien propagiert „freie Liebe“, wobei mir aber der Begriff von Charles Fourier „liberte amourouse“ (Freiheit in der Liebe) besser gefällt.
Denn einem Charles Fourier war jeder Gedanke an ein erzwungenes oder ernötigtes Verhalten des Menschen ein tiefer Greuel. Vielmehr soll in der Zukunftsgesellschaft der „Harmonie“ jeder Menschen seine Leidenschaften, welche auch immer es seien, frei leben können (unter der Voraussetzung, niemandem anderen damit zu schaden).

In diesem Sinne bedeutet „Freiheit in der Liebe“ - wie in der gesamten Vorstellung Fouriers von der Harmonie – dass der einzelne Mensch die Freiheit hat, seine Leidenschaften zu leben und darin von der Gesellschaft unterstützt wird.

Auf keinen Fall ist es richtig, „freie Liebe“ einseitig mit „Mehrfachbeziehungen“ zu assoziieren, oder mit „häufig wechselnden Sexpartnern“.
Menschen mit mehr als einer ständigen Beziehung leben sogenannte „Polyamorie“.
Die Neigung zu „häufig wechselnden Sexpartner“ (möglicherweise anonyme) bezeichnet man als Promiskuität (von lat. „promiscuus“ = fremd, d.h. Sex mit unbekannten, anonymen Menschen).
Beides sind zudem auch noch unterschiedliche Dinge.
http://de.wikipedia.org/wiki/Polyamorie
http://de.wikipedia.org/wiki/Promiskuität



Auch die Gegenüberstellung von „Freie Liebe“ und Monogamie ist völlig unsinnig.

Freiwillige Monogamie
gehört nämlich genau so zur Freiheit der Liebe wie etwa die Askese, oder auch die Promiskuität.

Man könnte also allgemein Askese, Monogamie, Polyamory und Promiskuität als völlig gleichwertige Grundvarianten sexuellen Verhaltens und sexueller Neigungen gegenüberstellen, zuzüglich noch der Differenzierungen hinsichtlich Hetero/Bi/Homosexualität, zwischen romantischer versus sexueller Liebe, sodann die diversen „fetischistischen“ Orientierungen (die Fourier als „Zwiespältigkeiten“ bezeichnete), Polaritäten wie voyeuristisch versus exhibitionistisch, dominant versus submissiv usw usf.



DAS ALLES gehört zu „Freiheit in der Liebe“, will heißen: dass der einzelne Mensch, soll frei, ohne jeden Gruppendruck, darüber entscheiden können, welche der „Spielarten“ und „Orientierungen“ er zur seinen wählt und zudem auch noch beliebig oft wechseln kann.

Dieses Grundkonzept der Freiheit der Liebe unterscheidet sich schon sehr von der durch „Moral“ und Gesetz verteidigten uniformen Lebensform der Vergangenheit, die die monogame Kleinfamilie (möglichst lebenslang) zum gesellschaftlichen „Normmodell“ erklärte.

In der Zukunftsgesellschaft der „Harmonie“, wie sie Charles Fourier prognostizierte, wird es eben kein „Normmodell“ mehr geben, sondern eine Vielfalt von freiwillig eingegangenen Beziehungsformen, wozu letztlich auch die monogame Kleinfamilie zählen wird – für diejenigen, die genau das wollen. Und Polyamorie und Promiskuität ebenso.

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