System überlappender Gruppen

Donnerstag, 22. Mai 2008

Rensis Likert: Das System überlappender Gruppen

Der Name Rensis Likert ist gewöhnlich nur Studierten bekannt, die sich mit statistischen Erhebungen und Umfragen auseinandersetzen mussten. Beispielsweise nennt sich „Likert-Skala“ ein von Rensis Likert entwickeltes Skalierungsverfahren zur Messung von Einstellungen.
Den Befragten wird eine Reihe von Aussagen (oft auch als "Statements" oder "Items" bezeichnet) vorgelegt, zu denen sie Zustimmung oder Ablehnung äußern können, und zwar in abgestufter Form. Die Befragten sollen also beispielsweise angeben, ob Sie der geäußerten Ansicht "völlig" - "überwiegend" - "teilweise" - "eher nicht" - "gar nicht" zustimmen, oder ob ihrer Meinung nach ein Sachverhalt "ganz und gar" - "weitgehend" - "teilweise" - "eher nicht" - "gar nicht" zutrifft, ob man etwas für mehr oder weniger wichtig hält, usw.
Siehe http://www.wirtschaftslexikon24.net/d/likert-skala/likert-skala.htm
Rensis Likert ist ein Organisationspsychologe und beschäftigte sich unter anderem mit Managementsystemen.
http://en.wikipedia.org/wiki/Rensis_Likert

Das "Linking-Pin" Management - Modell von Rensis Likert

Was hat aber ein Rensis Likert mit der Bewegung intentionaler Gemeinschaften zu tun? Nun, er entwickelte – für das industrielle und wirtschaftliche Management das hierarchiearme und flexible „Linking Pin“ – Modell, auch „System überlappender Gruppen“ genannt.
http://en.wikipedia.org/wiki/Linking_pin_model
Unternehmerinfo.de schreibt dazu:
http://www.unternehmerinfo.de/Lexikon/G/Gruppenkonzept.htm

Führungsmodell, das davon ausgeht, daß Mitarbeiter organisatorisch betrachtet gleichzeitig Teilnehmer zweier sich überlappender Gruppen sein sollen. Abgesehen von den obersten und untersten Hierarchieebenen soll nach Rensis Likert jeder Mitarbeiter gleichzeitig in zwei verschiedenen Gruppen (z. B. Abteilungen) an Entscheidungen beteiligt werden und ist damit in der einen Gruppe teilnehmendes, in der anderen Gruppe führendes oder moderierendes Mitglied. Entscheidungen sollen so weit nach unten verlagert werden, daß diese bezüglich des Sachverstandes der Gruppenmitglieder gerade noch bewältigt werden können. Durch das Netzwerk sich überlappender Gruppen soll die Kommunikation und Integration im Unternehmen verbessert werden.

Wem das zu abstrakt ist, sei es anhang eines Schaubildes kurz erklärt:

Die Kreise stellen Teams dar, die Punkte Menschen. Im Unterschied zu unserem gewohnten Stab-Linien-Kommandosystem, wie wir es aus fast allen unseren Arbeitsplätzen kennen, ist das Team die Grundstruktur dieses Systems. Auch die Führungsebenen bis zur höchsten stellen Teams dar. Gleichzeitig ist es jedoch auch möglich, in mehrere Ebenen gegliederte Führungsebenen zu gestalten. Ich erinnere daran, dass Likert dieses System als Managementsystem für komplexe Industrieorganisationen und Wirtschaftstrust entwickelt hat. Es hat gegenüber der (aus dem Militär abgeleiteten) Stab-Linien-Organisation mit ihren Kommandostrukturen von oben nach unten den Vorteil, dass die Teamarbeit durchgängig die Basis der Organisation ist.
http://de.wikipedia.org/wiki/Stablinienorganisation
Graphische Darstellung einer Stablinienorganisation:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Stabliniensystem.jpg
Entsprechend schreibt unternehmerinfo.de warnend dazu:
Gruppenarbeit muss jedoch nicht immer motivierend auf Mitarbeiter wirken (Gruppenfertigung). Gruppenentscheidungen benötigen i.d.R. viel Zeit und der Erfolg einer Maßnahme hängt entscheidend vom Klima in der Gruppe (Kohäsion) sowie dem Willen ab, gemeinsam die Entscheidungen zu realisieren. Praktische Anwendungen dieses Modells sind selten.
Was mit Sicherheit damit zu tun hat, dass auf Integration und Partizipation ausgerichtete Organisationsmodelle in der spätkapitalistischen Realität wenig Nutzen haben für die herrschende Klasse der Kapitalbesitzer, die auf eine fluktuative und gefügige Arbeiterklasse wert legen.

Zukunftsträchtiges Managementkonzept

Ich behaupte allerdings, daß Rensis Likerts Management weit über die Enge kapitalistischer Wirtschaftsorganisation hinausweist und Grundlage sein kann für Organisationsstrukturen hochkomplexer herrschaftsfreier Systeme.
Spätestens hier muß jeder Anhänger intentionaler Gemeinschaften und auch jeder überzeugte Sozialist (bis hin zu Anarchosyndikalisten) hellhörig werden.

Zunächst möchte ich darauf aufmerksam machen, daß das in seiner ursprünglichen Form vorgestellte System in mehreren Aspekten noch modifiziert werden kann.
Zum einen kann die Zugehörigkeit eines Teammitglieds zu einem ("übergeordneten") Link - Team nicht nur durch Kooptation (Ernennung), sondern auch durch Wahl erfolgen (Wahl der Vorgesetzten durch das Basisteam).

Damit wird das Likertsche System kombinierbar mit den klassischen sozialistischen Vorstellungen mit einer auf gewählten (und jederzeit abwählbaren) Arbeiterräten basierenden Arbeiterdemokratie kombinierbar.

Dann läßt dich auch der gesamte hierarchische Aufbau relativieren und dymnamisieren.

Das oben dargestellte Likertsche System in seiner Urform hat natürlich ein "ganz oben" und ein "ganz unten". Aber streng genommen muss das noch nicht einmal sein.
Meine Erfahrung als Firmengründer von Kooperativen sagt mir, daß es auch in einem kooperativen Betrieb verschiedene Führungsaufgaben gibt:

- wirtschaftliche Führung (Rechnungs- und Buchführung, Controlling)
- fachliche Führung (bezogen auf die angebotenen Produkte bzw. Dienstleistungen)
- menschlich - pschologische Führung (Konfliktbehandlung, Betriebsklima etc.)

Die drei Führungs"sphären" müssen keineswegs eindimensional in einer Hand bzw einer Hierarchielinie liegen.

Daraus ergibt sich ein sehr komplexes, mehrdimensionales System, so wie in diesem Beispiel hier.
http://s2.directupload.net/images/user/080522/7qwyzv2t.jpg

Herrschaft versus Führung

Ich bin gewiß der Ansicht, daß herrschaftsfreie Organisationsstrukturen auch Führung benötigen und unterscheide daher sehr scharf und sehr konsequent zwischen Herrschaft und Führung.

Herrschaft basiert auf Zwang und Ausbeutung, wogegen Führung (oder Leitung) aufgabenorientiert (und qualifikationsorientiert) ist und transparent sowie effizient gestaltet werden sollte.

Diese Unterscheidung erscheint mir sehr wichtig. Während Herrschaft etwas ist, was die Menschheit abschaffen sollte und früher oder später auch wird, wird (fachlich orientierte) Führung als notwendiges Element bleiben, solange es Menschen gibt. Das Likertsche Modell liefert Ansätze, Führung sinnvoll, transparent und auch herrschaftsfrei zu gestalten.
Genau in dieser Hinsicht weist das Likertsche Modell - mit Modifikationen - weit über die kapitalistische Verwertungswirtschaft hinaus.

Das Beispiel des Stammes der Likatier

Ein Beispiel für eine modifizierte Likert – Organisationsstruktur findet sich etwa beim Stamm der Likatier. Um nicht missverstanden zu werden: die Likatier haben ihren Stammesaufbau nicht etwa in Kenntnis und Anwendung des Likertschen Organisationskonzeptes vorgenommen. Ich vermute sogar, dass Rensis Likert und sein Managementkonzept bis in die Kreise der Stammesführung unbekannt sind.
Um so interessanter, dass da sehr wohl Übereinstimmungen zu finden sind. Da ich selbst bis zum heutigen Tage sogenannter „autider“ Lebemensch des Stammes bin und auch bleibe, kann ich auch die Realität der Aufbaubeschreibung des Stammes bestätigen.
Auf der URL
http://www.likatien.de/likatien/stammesaufbau.php/cPath/info_aufbau
sind drei Ebenen (besser vielleicht Sphären) des Stammesaufbaus beschrieben:
- Stammeskreise (Mitgliedschaftsgrade)
- Stammesgruppen („Sozialgruppen“)
- Stammesbereiche (Wirtschaftsorganisationen)



„Stammeskreise“ beschreiben zwiebelschalenförmig „Einlass-Stufen“ von Stammesmitgliedern:

Im Stamm der Likatier existieren verschiedene Stammes-Kreise, die die verschiedenen Grade des Einlassens auf den Stamm symbolisieren und die verschiedenen Arten von Mitgliedschaften darstellen. Entstanden ist dieses Modell durch die Erfahrung, dass die Menschen höchst unterschiedliche Bedürfnisse bezüglich der Frage, wie sehr sie sich auf den Stamm einlassen wollen, haben. Um dieser Vielfalt gerecht zu werden, war es erforderlich, unterschiedliche Arten von Mitgliedschaften zu schaffen, wo jeder die Form von Mitgliedschaft wählen kann, die ihm und seinen Bedürfnissen entspricht.
http://www.likatien.de/likatien/aufbaukreise.php/cPath/info_aufbau_aukr

Diese Einlassstufen reichen von Lamatiden („latent Manifesten“: Ausgetretene, verstorbene) bis hin zu den Existenzialmenschen.

Stammesgruppen bezeichnen sogenannte „Sozialgruppen“ (es gibt deren fünf), die sich mehr nach Temperamenten und Charaktereigenschaften definieren.

Die "Sozialgruppen", die seither in unregelmäßigen Abständen zusammenkommen und sich mit einer Vielfalt von kulturellen und sozialen Themen beschäftigen, übernehmen auch verschiedene Aufgaben im Stamm, wie z.B. die Gästebetreuung, Fahrten zu anderen Gemeinschaften, Ausrichten von Festen etc. Die Zuordnung zu den Gruppen wird nicht bierernst nach den Wesensmerkmalen der Gruppen vorgenommen, und neue Mitgliedschaften richten sich weitgehend nach Sympathie und Belieben des Antragstellers.
http://www.likatien.de/likatien/aufbaugruppen.php/cPath/info_aufbau_augr

Die wirtschaftlichen Organisationen des Stammes werden "Bereiche" genannt:

Die Wirtschaftsstruktur des Stammes der Likatier gliedert sich in sechs wirtschaftliche Bereiche. In diesen jeweiligen Bereichen arbeiten branchenähnliche Betriebe zusammen. Die Betriebe haben ihre jeweiligen Betriebsleiter und darüberhinaus gibt es einen Bereichsleiter, der für den Bereich insgesamt verantwortlich ist.

Klar, daß wirtschaftliche Effizienz auch eine funktionelle Hierarchie erforderlich macht.

Zuzüglich noch zu einer vierten, auf der Webseite des Stammes ungenannte Ebene (die so etwas wie „Gesinnungsgemeinschaften“ erfasst) ergibt sich daraus ein hochkomplexes System überlappender Gruppen, in die ein Stammesmitglied eingebunden sein kann.

Ich selbst war in diesem System Lebemensch, Mitglied der Sozialgruppe Eloeme und dem Bereich Schwanen zugeordnet, wobei ich in jeder Ebene mit anderen Menschen (überlappend) verknüpft war. Insgesamt ist der Stamm der Likatier insofern als ein komplexes System überlappender Gruppen darstellbar und beweist die Anwendbarkeit des Likertschen Managementsystems auch und vor allem für herrschaftsfreie Gemeinschaftsformen.

Nemetien als System überlappender Gruppen

Auch das zukünftige Nemetien wäre mithin als ein hochkomplexes System überlappender Gruppen (und Gemeinschaften und Kooperativen etc.) vorstellbar.

Eine Erfahrung der letzten Jahre ist beispielsweise, dass es nicht sinnvoll ist, Menschen mit sehr unterschiedlichen Intentionen, Wünschen, Vorstellungen und Zielen in einer einzigen Gruppe zusammenzufassen. Unabhängig von der Art der Entscheidungsfindung (demokratisches Mehrheitssystem, Konsens, Vetoprinzip, Autokratie, Oligarchie) tendiert eine hochgradig heterogene Gruppenbildung zum Zerfall, zur Spaltung oder zur Verödung. Ein System überlappender Gruppen dagegen erlaubt die Gruppierung von Menschen entlang ihrer Ziele, Interessen etc. und bietet doch die Möglichkeit vielfältiger Zusammenarbeit und Kooperation.

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