Freitag, 15. Februar 2008

Ordnung und Sauberkeit

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Dieser Artikel von -raven- erschien in der Printausgabe der Nemetische Heimatzeitung Nr. 11 6.n.Z. (2006)
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Warum ein Artikel zu Ordnung und Sauberkeit in
einer Zeitschrift zur Gemeinschaftsbildung?
Scheinbar beantwortet sich die Frage selbst. Diese
beiden Begriffe sind der Quell gewiß von mehr als
der Hälfte von Zerwürfnissen vor allem in
Kleingemeinschaften.
Grund genug, dieses Thema einmal unabhängig von
einem konkreten Fall näher zu beleuchten. Es ist
ein sehr empfindliches Thema. Nach meiner
Erfahrung vermuten die meisten nicht in
Gemeinschaft lebenden Menschen in Örtlichkeiten
wie Küche und Bäder das größte Konfliktpotential.
Es sind Hellseher, denn in der Tat entwickeln sich
um derartige Örtlichkeiten gewöhnlich die
destruktivsten Auseinandersetzungen, die nicht
selten kleine Gemeinschaftsansätze geradewegs
auseinanderreißen. Das sollte Grund genug sein,
sich dieser Thematik zu widmen.
  • Die meisten Menschen kommen aus
    Lebensumständen, in denen sie – vor allem in
    Kindheit und Jugend – zu einem von den
    Erwachsenen definierten Niveau von Ordnung
    und Sauberkeit gezwungen worden sind. Die
    eigene Erfahrung der Zwanghaftigkeit wird
    meist dergestalt verinnerlicht, dass man meint,
    ohne Zwang und Nötigung sei Ordnung und
    Sauberkeit grundsätzlich nicht herstellbar. So
    wird die eigene Zwangserfahrung natürlich
    auch ungebrochen an die nachfolgenden
    Generationen weitergegeben.
  • Beide Begriffe Ordnung und Sauberkeit
    werden in ihrer wahren Bedeutung und
    Sinnhaftigkeit niemals hinterfragt, sondern
    meist als quasi moralische Grundwerte
    vorausgesetzt. Insbesondere fühlt sich der
    „Sauberere“ und der „Ordentlichere“ als besser
    als die „Unsauberen“ und „Unordentlichen“.
    Regelmäßig stellt sich heraus, dass die
    Vorstellungen über das, was ordentlich und
    sauber ist, zwischen den Beteiligten im Detail
    oft auseinanderklaffen, und zum Teil sogar auf
    verschiedenen Ebenen noch völlig
    unterschiedlich sind (jemand läßt das Geschirr
    stehen, aber ist akribisch und unduldsam in
    Fragen der Müllentsorgung). Trotzdem meinen
    alle Beteiligten oft, dass ihr eigenes
    Verständnis von Ordnung und Sauberkeit „das
    einzig richtige“ und das der anderen „das
    falsche“ ist.
  • Natürlich kommt es dabei auch zu der
    unvermeidlichen Erscheinung, dass Menschen,
    die einen lebenslangen inneren Krieg gegen die
    eigene „Schlampigkeit“ führen, diesen inneren
    Bürgerkrieg gern dadurch unterbrechen, indem
    sie ihren inneren Konflikt auf andere
    projizieren. Aus meiner Erfahrung ist gerade in
    diesem Bereich die Tendenz ungeheuer
    verbreitet, den Splitter im Auge des anderen
    anzuklagen, um den Balken im eigenen Auge
    zu vertuschen. Nach außen hat diese
    Doppelbödigkeit meist verheerende Folgen, da
    sie Vertrauen im Alltag zerstört und zu
    endlosen Grabenkriegen führt.
  • Oft sind Auseinandersetzungen über Ordnung
    und Sauberkeit Stellvertreterkriege für
    Konflikte auf ganz anderen Ebenen. So kann
    eine demütigende Bemerkung hervorragend
    gerächt werden, indem man den Beleidiger bei
    einer Nachlässigkeit erwischt und „zur Sau
    macht“ (verräterische Sprache!). Kriege um
    Sauberkeit und Ordnung entpuppen sich bei
    näherem Hinsehen oft als verschobene und
    damit unkenntlich gemachte Macht- und
    Revierkämpfe.


Um nicht missverstanden zu werden: wenn ich die
Begriffe Ordnung und Sauberkeit gewissermaßen in
Frage stelle, dann spreche ich mich nicht etwa für
Unordnung und Unsauberkeit aus, sondern möchte
die Aufmerksamkeit auf den subjektiven Charakter
beider Begriffe in konkreten Zusammenhängen
aufmerksam machen.
Letztlich hat jeder Mensch ein wie auch immer
geartetes Verständnis von Ordnung und Sauberkeit,
selbst der Obdachlose, der unter der Brücke
übernachtet.
Sauberkeit ist grundsätzlich eine willkürliche
Definition, denn die entgegengesetzte Definition
für „Dreck“ oder „Unrat“ ist ebenfalls willkürlich.
Die Online – Enzyklopädie Wikipedia schreibt
dazu: Ob eine Materieansammlung eine
Verschmutzung bildet ist orts- und zeitabhängig
und unterliegt teilweise auch subjektiven
Einschätzungen. Dreck oder Schmutz ist in diesem
Sinne das "falsche Ding zur falschen Zeit am
falschen Ort"
, oder „Dreck ist Materie am falschen
Platz“
. Dies setzt gleichwohl voraus, dass es eine
Definition von richtigem oder falschem Platz gibt.
Wo mehrere Menschen beteiligt sind, liegt es nahe,
dass diese Definition einvernehmlich gefunden
werden muß. Wo sie es nicht ist, da sind destruktive
Auseinandersetzungen geradezu vorprogrammiert.
Kaum anders verhält es sich mit dem Begriff
„Ordnung“. Ordnen heißt gestalten. Wo eine Seite
ihre Ordnungsvorstellungen gegen die andere
„durchsetzt“, da wird logischerweise der
Gestaltungswille einer Seite gebrochen. Wo aber
der Gestaltungswille mehrerer Menschen sich
kombiniert, da wird eine gemeinsame Ordnung
entwickelt.
Erhellend ist da ein Blick auf den aktuellen Stand
der Robotik. Warum gibt es trotz Internet noch
keine Haushaltsroboter, die mir meine Wohnung
sauber und ordentlich halten? Die Antwort ist
einfach: die Systementwickler stellten fest, daß die
Definition dessen, was ordentlich und sauber ist,
viel zu komplex ist, um einfach objektivierbar zu
sein. Freilich kann man heute schon staubsaugende
Roboter kaufen, die nach dem Zufallsprinzip den
Boden abfahren und saugen. Doch bereits ein Stück
Papier oder Plastik kann die Entscheidungsfähigkeit
einer solchen Maschine überfordern. Wann ist ein
Stück Papier Müll und wann ist es ein Geldschein
beispielsweise?
Wo kein gemeinsames und einvernehmliches
Verständnis von Sauberkeit und Ordnung
entwickelt wird, da entwickelt sich ein Herd
ständiger destruktiver Auseinandersetzungen.
Welche konkrete Ausformung Ordnung und
Sauberkeit innerhalb einer konkreten Gemeinschaft
annehmen, kann sehr unterschiedlich sein. Wichtig
ist lediglich, daß die Definition einvernehmlich
entwickelt wurde.
Natürlich ist diese Einsicht allein kein Patentrezept
für die Lösung aller Sauberkeits- und
Ordnungsfragen in Gemeinschaft, aber sie gibt die
Methode an, mit der die Konfliktlösung erfolgen
muß. Nicht der Disput darüber, welches „richtige“
und „falsche“ Auffassungen sind, sondern das
gemeinsame Bemühen darum, Lösungen zu finden,
die letztlich alle Beteiligten zufriedenstellen. Das
impliziert natürlich auch, die eigenen Vorstellungen
zu überprüfen.

-raven-

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